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Lexikon > Misophonie


Misophonie (von griech.: μ?σος misos ‚Hass‘1 und φων? phon? ‚Geräusch‘2), wörtlich „Hass auf Geräusche“, ist eine Form der verminderten Geräuschtoleranz gegen bestimmte Geräusche. Es wird angenommen,3 dass es sich um eine neurologische Störung handelt, charakterisiert durch negative Reaktionen auf bestimmte Geräusche, egal ob diese als laut oder leise wahrgenommen werden.4 Eine Klassifizierung nach ICD-10 oder DSM-IV-TR besteht nicht.
Im Jahr 2013 formulierten drei Psychiater des Medizinischen Akademischen Zentrums Amsterdam Diagnosekriterien für Misophonie auf der Basis der Untersuchung von 42 Patienten und rieten dazu, eine Klassifizierung einzurichten.5
Der Begriff „Misophonie“ wurde geprägt durch die US-amerikanischen Neurowissenschaftler Pawel und Margaret Jastreboff.6 Ein häufig verwendetes Synonym ist Selective Sound Sensitivity Syndrome, auf Deutsch etwa: „Selektive Geräuschintoleranz“.7
Einige Forscher sagen, dass Misophonie durch klassische Konditionierung anstelle einer Anomalie im Gehirn entsteht.89 Eine Konditionierung bedeutet in diesem Kontext, dass die Betroffenen die Geräusche unbewusst mit negativen oder traumatischen Ereignissen verbinden und deswegen sofort extreme Reaktionen aufzeigen, weil sie unbewusst in diese schlechten Situationen zurück versetzt werden. Einige Betroffene reagierten positiv auf Behandlungsverfahren mit Gegenkonditionierung (in der sie lernen, die Geräusche mit positiven Erlebnissen zu verbinden), welche einen Prozess darstellt, der bedingte Reflexe auflöst.9910 Im Körper werden bedingte Reflexe über das vegetative Nervensystem gesteuert.

Symptome


Im Gegensatz zu der krankhaften Überempfindlichkeit gegenüber Schall (Hyperakusis) betrifft Misophonie nur bestimmte Geräusche. Personen, die an Misophonie leiden, fühlen sich stark gestört und können wütend auf alltägliche Geräusche wie Essgeräusche, Atmen, Niesen, Gähnen, Husten, Räuspern, Stottern, Stammeln, Kaugummikauen, Lachen, Schnarchen, Pfeifen oder andere sich wiederholende Geräusche reagieren.11 Manche Betroffene werden auch durch visuelle Reize getriggert, wie sich wiederholende Fuß- oder Körperbewegungen, Herumzappeln oder andere Bewegungen, die sie aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Extreme Angst und Vermeidungsverhalten können entstehen, was zu sozialer Isolation oder verminderter Geselligkeit führen kann. Manche der Betroffenen stehen unter dem Zwang, das, was sie sehen oder hören, nachzuahmen.12
Eine Beurteilung von neurologischen Studien und fMRI-Studien über die Gehirnstrukturen von Betroffenen postuliert, dass neuronale Signale abnormal oder dysfunktionell im anterioren cingulären Cortex (Teil des präfrontalen Cortex) und im insulären Kortex verarbeitet werden. Diese Hirnareale sind die Drehscheibe für die Verarbeitung von Wut, Schmerz und Sinneswahrnehmungen.12
Einige Wissenschaftler sind auch der Meinung, dass Strukturen des Zentralnervensystems Ursache für die Misophonie sind.13 Es wird spekuliert, dass die Anomalie zentraler ist als die bei der Hyperakusis.14

Häufigkeit und Begleiterkrankungen


Daten zur Prävalenz (Häufigkeit) von Misophonie liegen noch nicht vor, aber die steigende Zahl der bekannten Betroffenen lässt darauf schließen, dass sie häufiger auftritt, als bisher angenommen.14 Unter Patienten mit Tinnitus, welcher vier bis fünf Prozent der Bevölkerung betrifft,15 gibt es Studien, die von einer Prävalenz von Misophonie von 60 Prozent berichten.12 Eine Studie aus dem Jahr 2010 hat unter Tinnituspatienten eine Prävalenz von zehn Prozent gemessen.16
Eine niederländische Studie aus dem Jahr 201312 mit einer Gruppe aus 42 Patienten mit Misophonie hat eine geringe Häufigkeit von psychischen Erkrankungen festgestellt, mit Ausnahme der zwanghaften Persönlichkeitsstörung (52,4 Prozent).

Siehe auch


  • Hyperakusis (Überempfindlichkeit gegenüber Schall)
  • Phonophobie (Angst vor bestimmten Geräuschen)
  • Lärm
  • Lärmschutz
  • Hörschwelle
  • Liste von Phobien


Einzelnachweise


1 http://www.perseus.tufts.edu/hopper/morph?l=mi%3Dsos&la=greek&can=mi%3Dsos0&prior=fanero/misos μ?σος In: Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English Lexicon. auf: perseus.tufts.edu
2 http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.04.0057%3Aentry%3Dfwnh%2F φων? In: Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English Lexicon. Auf: perseus.tufts.edu
3
4
5 Arjan Schröder, Nienke Vulink, Damiaan Denys: http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0054706 Misophonia: Diagnostic Criteria for a New Psychiatric Disorder. In: PLoS ONE. 8(1), S. e54706
6 Titel=Tinnitis retraining therapy for patients with tinnitus and decreased sound tolerance | Autor=Pawel J. Jastreboff, Margaret M. Jastreboff | Sammelwerk=Otolaryngol Clin | Jahr=April 2003 | Band=36(2) | Seiten=321–336 | PMID=12856300
7 M. Neal, A. E. Cavanna. P3 Selective sound sensitivity syndrome (misophonia) and Tourette syndrome. [Ohne Ort]. [Ohne Verlag]. 2012. S.e1.
8 Jastreboff, M.M., & Jastreboff, P.J. (2014). Treatments for Decreased Sound Tolerance (Hyperacusis and Misophonia). Seminars in Hearing 35(2), 105-120.
9 Dozier, T. H. (2015). http://psyct.psychopen.eu/article/view/132/pdf Etiology, composition, development and maintenance of misophonia: A conditioned aversive reflex disorder. Psychological Thought, Vol. 8(1), 114–129,
10 T. H. Dozier: Counterconditioning Treatment for Misophonia. In: Clinical Case Studies. 14, 2015, S. 374, .
11
12
13 Titel=Hearing, Second Edition: Anatomy, Physiology, and Disorders of the Auditory System |Autor=Aage R. Møller |Verlag=Academic Press |Jahr=2006 |ISBN=0-12-372519-4
14 Titel=http://www.springerlink.com/content/gl87436l77336151/ Textbook of Tinnitis, part 1 |Autor=Aage R. Møller |Jahr=2001 |Seiten=25–27 |DOI=10.1007/978-1-60761-145-5_4 |Zugriff=2012-02-05
15
16 Titel=DPOAE in estimation of the function of the cochlea in tinnitus patients with normal hearing. | Autor=A. Sztuka, L. Pospiech, W. Gawron, K. Dudek | Sammelwerk=Auris Nasus Larynx | Jahr=2010 | Band=37(1) | Seiten=55–60 | PMID=19560298


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Misophonie

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